"Weissach lebt auf Pump" - SPD-Fraktion im Weissacher Gemeinderat sorgt sich um die Finanzen der Gemeinde
von Jürgen Hestler
Anmerkungen zum Haushaltsplan für das Jahr 2023
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren des Gemeinderates,
sehr geehrte Damen und Herren der Verwaltung,
sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger,
Was für ein Jahr! So habe ich im letzten Jahr meine Anmerkungen zum Haushaltsplan für das Jahr 2022 begonnen, nicht ahnend, was dieses Jahr 2022 an nicht vorstellbaren Problemen und Katastrophen bringen würde: Energieknappheit, Inflation, Krieg. Zum ersten Mal nach über 75 Jahren gibt es Krieg - noch – nicht bei uns in Deutschland, aber sehr wohl in Europa! Mit Folgen auch für uns, hier in unserem friedensverwöhnten Deutschland. Folgen, die sich sehr wohl für alle bemerkbar machen: Flüchtlinge, vor allem Frauen und Kinder, suchen Schutz vor Bomben und Raketen und Panzern, sie brauchen eine sichere Unterkunft und Betreuung. Nicht einfach für unser Land, nicht einfach für eine vergleichsweise kleine Gemeinde wie Weissach. Dass bis jetzt alles sehr gut geklappt hat, verdanken wir besonders auch unserer Integrationsmanagerin hier vor Ort, die es auch ohne ausreichende Unterstützung von Land und Bund bis jetzt erreicht hat, dass alle geflüchteten Personen hier untergebracht werden konnten. Hoffentlich gelingt dieser Spagat auch in der kommenden Zeit. Vielen Dank für Ihr Engagement! Und Corona ist nur noch eine Randnotiz wert!
Da ist eine Rede zum Beschluss des Haushaltsplans für das Jahr 2023 eine einfach zu lösende Aufgabe!
Wie immer will ich einige Themen herausgreifen, die im kommenden Jahr besonders wichtig sein werden. Auch Sie, Herr Bürgermeister, haben sich bei der Einbringung des Haushalts auf einige Themen fokussiert: Sanierung von Gebäuden und Straßen, Umwelt und Klimaschutz - ein ur-weissacher Thema, war die Gemeinde doch des Öfteren Preisträgerin bei bundesweiten Wettbewerben -, Pflegestandort Brüdenwiesen oder der Ausbau der Gewerbestandorte in der Gemeinde. Sie bezeichnen den Haushaltsplan als „ Blick in die Zukunft“, der als „Prognose mit Zukunftsfunktion gesehen werden muss“, indem dort unsere „Handlungs- und Gestaltungsfelder festgelegt und priorisiert“ werden.
Allerdings sind unsere finanziellen Spielräume im Vergleich zu den Vorjahren deutlich geringer, womit sich die Frage nach absoluter Notwendigkeit einzelner Projekte stellt, denn trotz eines minimalen positiven finanziellen Endergebnisses muss man klar erkennen, dass dieses nur zu Stande kommen konnte, weil avisierte, aber nicht vollzogene, Grundstücksverkäufe ein positives Ergebnis suggerieren! Dabei ist dieses zusätzliches Bauland beileibe nicht nur für Einfamilienhäuser bestimmt, sondern es geht auch oft um Sonderflächen für gesellschaftsrelevante Notwendigkeiten wie den nötigen Pflegestandort oder um die humanitäre Einrichtung für die Unterbringung von Flüchtlingen.
Trotz allem: Weissach lebt auf Pump!
Welche also von den vielen angedachten, bereits geplanten, seit Jahren verschobenen Projekten jetzt, in dieser finanziellen Situation, angehen? Keine einfache Aufgabe für den Gemeinderat! Sicher ist es berechtigt, darüber nachzudenken, dass gerade die öffentliche Hand anders als ein schwäbischer Haushalt antizyklisch vorgehen muss. Aber wieviel kann, wieviel darf man der Gemeindekasse und damit den Bürgerinnen und Bürgern, die ja durch ihre Steuerzahlungen alles ermöglichen, da zumuten?
Sehen wir uns einzelne Ausgabenbereiche genauer an.
Beginnen will ich mit einer Thematik, die inhaltlich nicht neu, mehrheitlich akzeptiert, aber schwierig, weil teuer in der Umsetzung ist: Umbau und Sanierung von gemeindeeigenen Immobilien. Seit Jahren ist allen klar, dass Gebäude und Straßen in der Gemeinde gepflegt und erhalten werden müssen. Dies trifft vor allem auf das öffentliche Straßennetz zu. Erschwerend dabei ist die Tatsache, dass viele unserer Straßen vor Jahrzehnten für die damalige Nutzung gebaut wurden, die nun einfach marode sind, deren Unterbau heute aber um ein Vielfaches in ihrer Nutzung übertroffen wird, sei es wegen einer höheren Anwohnerzahl mit ihrem Bedarf an Wasser und Abwasser, sei es der Verkehr mit PKWs und LKWs. Hier muss gehandelt werden.
Und dann das Feuerwehrgerätehaus. Es stammt aus der Zeit, als sich die vormals selbständigen Gemeinden zusammengefunden und auch die Ortsfeuerwehren sich vereinigt haben, ist also auch fast 40 Jahre alt. Nicht nur das Dach ist undicht, nein, auch die Feuerwehrautos der neuen Generation passen nicht mehr in die Wagenhalle! Kein Thema, auch hier muss gehandelt werden.
Und dann unser wunderschönes altes Rathaus. Hier es geht jetzt vor allem um Barrierefreiheit, die sowohl für Besucher als auch für Beschäftigte gegeben sein muss. Und die kann nur erreicht werden, wenn jedes Stockwerk ohne Stufen erreichbar ist. Erfreulicherweise kann aber jetzt doch der seit Jahren im Raum stehende Plan umgesetzt werden, einen gläsernen Zwischenbau mit Aufzug für beide Gebäudeteile zu errichten. Leider erst jetzt, nun nach mehr als 10 Jahren seit den ersten Überlegungen, zu einem sehr viel höheren Preis!
Und da kommen wir zum zentralen Problem unserer Gemeinde. Geld - für die vielen Aufgaben, die wir uns selbst vorgenommen haben und die uns verordnet werden.
Und nun kann ich mich selbst bzw die Rede vom vergangenen Jahr zitieren, denn an deren Aussage hat sich inzwischen nichts verändert: „Wie wir alle wissen, ist Weissach im Tal kein klassischer Gewerbe- oder gar Industriestandort, … so hängt Weissach am Tropf des Landes und des Bundes.“ Dabei geht es bei uns nicht um große Industriegebiete sondern lediglich um die Erweiterung für Gewerbeansiedlungen, damit die Gewerbesteuereinnahmen nicht nur tröpfeln sondern plätschern? Wie sonst sollen wir unsere Aufgaben erfüllen? Aber nicht nur Gewerbegebiete am Ortsrand sind wichtig sondern vor allem auch Gewerbe im Ortszentrum, denn dies macht eine Kommune für alle attraktiv - im Gegensatz zu Leerständen! Viele Besitzer von aufgelassenen Ladenlokalen sagen, sie brauchen die Einnahmen aus einer Vermietung nicht, sie befürchten Probleme aus einer Vermietung. Für einen lebendigen Ortskern ist eine solche Haltung Gift. Herr Bürgermeister, Sie haben während Ihres Wahlkampfes vor einem Jahr des Öfteren davon gesprochen, dass Sie an Ihrer vorherigen Wirkungsstätte auch als Wirtschaftsförderer fungierten. Da haben Sie hier noch ein weites Feld! Sprechen Sie die potentiellen Vermieter persönlich an! Wie wäre es mit einem Förderprogramm für Start-Ups in Handel und Gastronomie? Und auch für potentielle Kunden muss da etwas getan werden: wer sich länger im Ortskern aufhalten will, weil es da so schöne Geschäfte gibt, weil die Aufenthaltsqualität zum Verweilen einlädt, braucht, nach der Gastronomie, … ein Örtchen! Vor Jahren bereits, um genau zu sein im Jahr 2008, hat die SPD-Fraktion beantragt, dass Nette Toiletten eingeführt werden sollten. Die Antwort lautete: alle Gaststätten (bis auf eine) machen mit, es fehlen nur noch die Aufkleber. Ich habe nun nachgeforscht: es gibt noch immer keine Aufkleber, und ich vermute, die wurden auch nie bestellt. Deshalb bringen wir hiermit diesen Antrag erneut ein (hierzu Antrag der Fraktion), denn Nette Toiletten sind eine win-win-win-Situation für die Bürger, die Gewerbetreibenden und die Gemeinde, spart sie doch die Einrichtung und Unterhaltung von öffentlichen Toiletten!
Ein Thema bewegt uns alle, nicht nur uns in Weissach: Umwelt und Klimaschutz! Schon seit vielen Jahren steht dieser Themenbereich bei uns im Focus, so sehr und so elaboriert, dass die Gemeinde schon mehrmals Preisträger in verschiedenen Wettbewerben war. Und wir lassen nicht nach! Dies zeigt sich, dass der Hochwasserschutz weiter ausgebaut wird, dass nicht leichtsinnig Bauflächen in sensiblen Bereichen ausgewiesen werden, dass die Renaturierung von Bächen einen wichtigen Stellenwert hat - denn auch dies fördert den Hochwasserschutz - , dass wir der Energieknappheit und damit verbunden der eigenen Energiegewinnung einen hohen Stellenwert einräumen. Vor allem die Zusammenarbeit mit der Energiegemeinschaft verspricht hier Erfolge, z.B. bei der Einrichtung von Photovoltaikanlagen und Fernwärmenetzen. Ein hier durchaus vorstellbares Projekt ist eine in eigener Regie erstellte Freiflächen-PV-Anlage auf der Hart. Dieses Gelände ist bereits per Flächennutzungsplan dafür ausgewiesen, nur erwies es sich für einen privaten Investor als nicht genügend lukrativ. Für die Energiegemeinschaft sieht die Sache da vielleicht aber anders aus. Wir beantragen deshalb, dass die Gemeinde konkrete Gespräche mit dem Besitzer der Fläche und der Energiegemeinschaft über die Errichtung einer PV-Anlage auf der Hart führt. (hierzu Antrag der Fraktion)
Und da gibt es noch das Problem mit der Ausweisung von Bauflächen! Davon hat die Gemeinde nie genug - denn mit deren Verkauf finanziert sich der Gemeindehaushalt zu einem nicht unbeträchtlichen Teil. Nur, was machen, wenn die Gemarkung in allen bebaubaren Flächen bebaut ist? Und auf diesen Zustand gehen wir mit großen Schritten zu. Und dies nicht etwa nur, weil die Gemeinde zusätzliches Bauland für Einfamilienhäuser ausweisen will! Wie kann es da aber andererseits sein, dass auf manchen Flächen geradezu mit Platz geaast wird? Ich spreche hier von der Parkraumfläche hinter dem Haus der Gesundheit. Natürlich, ich weiß, dieser Parkplatz ist der Landesbauordnung geschuldet. Aber muss man diese LBO so phantasielos auslegen? Kann man den Raum nicht zusätzlich zum geforderten Parkraum auch als Baufläche für Gewerbe nutzen? Wie wäre es mit einer Überbauung mit zwei, oder gar drei Stockwerken? Technisch ist dies problemlos machbar, und in Zeiten von knappen Flächen rechnen sich wohl auch die Kosten. Die SPD-Fraktion beantragt deshalb, dass die Gemeinde mit dem Besitzer der Fläche Gespräche aufnimmt, wie dieser Raum nachhaltiger genutzt werden kann. (hierzu Antrag der Fraktion)
Ein Thema, das in Ihrer Rede, Herr Bürgermeister, nur eine Randnotiz wert war, ist das Thema Mobilität, ein Thema, das uns hier im Gemeinderat aber schon seit Jahren beschäftigt, ohne dass es bis jetzt zu irgendeinem umsetzbaren Ergebnis gekommen wäre. Wenigstens liegt inzwischen ein diskutables Gutachten vor! Auch die SPD-Fraktion hat sich zusammen mit dem Ortsverein Gedanken gemacht, denn gerade wir haben immer und immer wieder den Fokus auf diese Thematik gelenkt. Jetzt bringen wir einen Antrag dazu ein und hoffen, dass die Diskussion darüber zu einem breiten Einverständnis im Rat führt. Wichtig ist uns in dieser Thematik, dass kein Verkehrsträger, der zur individuellen Mobilität der Bürgerinnen und Bürger beiträgt, von vorne herein ausgeschlossen oder verdammt wird. Hier im ländlichen Raum braucht es eine andere Umsetzung als in einem Ballungsraum, in dem mehrere Bus- und/oder Stadtbahnlinien im 10-Minuten-Takt vor fast jeder Haustüre halten. Wir sind eine Flächengemeinde. Halten Sie es für vorstellbar, dass der Bus alle zehn Minuten zu den Dresselhöfen oder nach Wattenweiler fährt? Ein innerörtlich verkehrender Minibus könnte sicher eine Alternative sein, aber … das Geld! Ich erwähnte es schon! (hierzu Antrag der Faktion)
Ja, was für ein Jahr! Viele Aufgaben kommen auf uns zu und nicht für alle gibt es eine sofortige, alle zufriedenstellende Lösung. Wir haben also hier in dieser Runde noch eine Menge zu tun.
Bleibt mir Dank zu sagen:
Danke an die gesamte Verwaltung für die gute Zusammenarbeit und die Impulse, die nach ausführlichen Diskussionen hier im Rat zu weiteren Verbesserungen vor Ort führen.
Danke an alle Mitarbeiterinnen in den verschiedenen Einrichtungen der Kinderbetreuung.
Danke an den Bauhof, dessen Mitarbeiter die vielfältigen Aufgaben zu unserer Zufriedenheit erledigen.
Danke an alle Ehrenamtlichen in unseren vielen Vereinen für ihre Zeit und ihr Engagement.
Und so sollen wir jetzt über den vorliegenden Haushaltsplan abstimmen. Wir stimmen überein mit der Verwaltung, dass es viele Aufgaben gibt, die erledigt werden müssen. Wir sehen, dass viele Projekte zu einem bestimmten Zeitpunkt in Angriff genommen und auch abgeschlossen werden müssen. Um nötige Zuschüsse zu erhalten. Aber Zuschüsse sind nicht alles. Ein Großteil muss auch aus der Gemeindekasse bezahlt werden - und die ist leer. Bedeutet also, dass wir unsere Projekte nur über Kredite finanzieren können. Wäre es da nicht richtig, wenigstens darüber nachzudenken, ob die eine oder andere Aufgabe nicht auch zu einem späteren Zeitpunkt, bei einer besseren Kassenlage, in Angriff genommen oder in ihrem Umfang abgespeckt werden könnte? Wie und wann können diese Kredite getilgt werden? Welche Probleme hinterlassen wir der Weissacher Bevölkerung und unseren Nachfolgern hier im Amt?
Die SPD-Fraktion stimmt deshalb dem in dieser Form vorliegenden Haushaltsplan für das Jahr 2023 nur mehrheitlich zu.