Presseecho Roter Stuhl
von Jürgen Hestler
aus: Stuttgarter Zeitung v. 26.7.2017
Olaf Scholz in Weissach im Tal
Keine Toleranz für Chaoten
Von Frank Rodenhausen 25. Juli 2017 - 17:02 Uhr
Der Hamburger Rathauschef Olaf Scholz ist zu Gast in Unterweissach gewesen. Dort räumt er unter anderem Fehler beim G-20-Gipfel ein und fordert eine europäische Allianz bei der Flüchtlingshilfe.
Weissach im Tal - Was hat die Millionenmetropole Hamburg mit der 7000-Einwohner-Kommune Weissach im Tal gemein? Der Weissacher Bürgermeister Ian Schölzel muss über die Frage des SPD-Kreisvorsitzenden Jürgen Hestler nicht lange nachdenken: „Wir haben auch mal eine ähnliche Zeit durchgemacht.“ Schölzel meint die Ereignisse vor zwei Jahren, nachdem im Flecken ein Haus in Flammen aufgegangen war, das zur Unterbringung von Flüchtlingen dienen sollte. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte das Bild von dem brennenden Haus zur Illustration eines Artikels über fremdenfeindliche Umtriebe im Land benutzt. Zwar diagnostizierte die Polizei Tage später tatsächlich Brandstiftung, wer dafür verantwortlich war, konnte aber bis heute nicht ermittelt werden. Für Teile der Presse stand das aber schnell fest. „Wir wurden zu Unrecht als Dunkeldeutschland tituliert“, sagt Schölzel. Wochenlang habe man sich in den Medien für etwas rechtfertigen müssen, was nicht den Tatsachen entspreche.
6000 Gipfelteilnehmer und 20 000 Polizisten
Auch Olaf Scholz, der Ersten Bürgermeister von Hamburg, ist jüngst weit über das Maß hinaus im Fokus der Weltöffentlichkeit gestanden, als ihm lieb sein konnte. Natürlich sind die Krawalle während des G-20-Gipfels in der Hansestadt auch am Montagabend ein zentrales Thema in Unterweissach gewesen. Dort hatte sich Scholz auf Einladung der örtlichen SPD auf dem „Roten Stuhl“ den Fragen des Publikums im vollbesetzten Bürgerhaus gestellt.
Scholz verteidigte die Veranstaltung an sich und die Vorbereitung der Stadt auf das Ereignis. Die Zusammenkunft der 20 Staats- und Regierungschefs in Hamburg sei wichtig und richtig und man selbst eigentlich gut gerüstet gewesen: 6000 Gipfelteilnehmern und 5000 Journalisten hätten rund 20 000 Polizisten gegenübergestanden. „Dennoch hatten wir nicht die richtigen Mittel, um schnell genug auf die Ereignisse zu reagieren“, räumte Scholz ein. Die Aufgabe sei nun, ein Rezept zu finden, um ähnliche Ausschreitungen bei künftigen Spitzentreffen zu verhindern. Denn dass diese nötig seien, steht für Scholz außer Frage. „Wir brauchen solche Gespräche – und sie müssen auch an offenen und liberalen Orten stattfinden können. Wir dürfen uns von Chaoten nicht bestimmen lassen, was wir tun.“ Vielmehr müssten die Krawallmacher die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Wie die SPD zu Linksextremen stehe. „Ganz klar auf Distanz“, sagt Olaf Scholz, „für diese Art von Militanz kann es auch keine halbe Sympathie geben.“
Arbeit und Pflichterfüllung als Gegenleistung
Ein anderes stark nachgefragtes Thema bei der Diskussion mit dem Bürgermeister im Weissacher Bürgerhaus ist die Zuwanderung gewesen. Auch hier äußerte Scholz eine klare Haltung: „Wir haben als Bundesrepublik Deutschland eine besondere Verpflichtung, Verfolgten Schutz zu gewähren“, betonte er. Und es gebe eine europäische Verpflichtung. Mehr als 450 Millionen Menschen müssten eigentlich problemlos in der Lage sein, eine Million Menschen aufzunehmen – wenn man die Aufgabe als eine gemeinschaftliche verstehe. Auch Deutschland habe zu Beginn der jüngsten Flüchtlingskrise, als die meisten Schutzsuchenden über das Mittelmeer gestrandet waren, keine rühmliche Rolle gespielt und die südeuropäischen Länder mit ihren Problemen allein gelassen, sagte Scholz. Das dürfe nicht wieder passieren. Im Gegenzug aber müsse man von jenen, denen man Zuflucht gewähre, erwarten können, dass diese hiesige Wertvorstellungen beachteten. „Und dazu gehört auch Arbeit und Pflichterfüllung“, so der frühere Bundesarbeitsminister.
Ausweichender äußerte sich der stellvertretende Bundesvorsitzende seiner Partei in der überwiegend von SPD-Mitgliedern und -Sympathisanten besuchten Veranstaltung hingegen zum eigenen Kurs im anstehenden Bundeswahlkampf. „Was ist das zündende Thema der SPD?“, fragte ein Zuhörer. „In erster Linie steht für mich mein Amt, beziehungsweise meine Aufgabe im Vordergrund, dann erst die SPD“, sagte Scholz. Obwohl es Deutschland wirtschaftlich so gut gehe wie lange nicht, beobachte er bei vielen Menschen einen zunehmenden Verlust an Zukunftsoptimismus, merkte der 59-Jährige an. „Dem müssen wir vernünftige Thesen entgegensetzen.“ Welche genau, ließ er freilich offen.