„Opposition ist Mist, regieren ist besser“

von Jürgen Hestler

Es war die 44. Veranstaltung aus der Reihe „Der rote Stuhl“, zu der die SPD Weissacher Tal seit 1990 regelmäßig einlädt. Rund um einen roten Kleintransporter, das sogenannte Meinungsmobil, waren Statements und Fragen platziert, die bei Gesprächen mit Bürgern an die SPD-Aktiven herangetragen worden waren.

Jürgen Hestler als Vorsitzender der SPD Weissacher Tal begrüßte den prominenten Gast und erläuterte, dass hier kein Vortrag mit anschließender Diskussion geplant sei, sondern dass der Minister ausschließlich auf Fragen der Besucher antworten würde. Und die ließen sich nicht lange bitten. So klagte eine Zuschauerin über den hohen Eigenanteil bei den Kosten für einen Pflegeheimplatz. „Die Pflegeversicherung ist eher Teil- als Vollkasko, und das reicht oft nicht aus“, so der Minister. Die Antwort der SPD auf diesen Missstand sei die Pflege-Bürgerversicherung, in die alle einzahlen und die nicht mehr zwischen privat und gesetzlich Versicherten unterscheidet. Dieses Projekt sei allerdings bisher am Koalitionspartner CDU gescheitert. Kleiner Seitenhieb: „ein Koalitionspartner, den wir hoffentlich bald nicht mehr brauchen“. Die Pflege müsse man solidarischer organisieren, forderte der Minister, betonte aber auch: „Die Gesellschaft wird mehr Geld für Pflege und Gesundheit ausgeben müssen.“

Die Privatisierung im Gesundheitswesen geht Heil zu weit

Eine weitere Zuschauerfrage betraf das Thema Pflegenotstand in Kliniken. Hier sprach sich Arbeitsminister Heil dafür aus, dass die öffentliche Hand wieder mehr Verantwortung übernimmt. „Wir haben es mit der Privatisierung im Gesundheitswesen übertrieben. Gesundheit ist keine Ware“ – eine Aussage, die von den Zuhörern mit Applaus quittiert wurde.

Auch auf das Thema Renten wurde der Minister angesprochen, Stichwort Altersarmut. Dazu stellte er fest: „Wer von Rente redet, muss den Arbeitsmarkt kennen“, denn dieser sei das Fundament für die Rentenversicherung. Wenn in den kommenden Jahren die Generation der Babyboomer in den Ruhestand eintritt, sei ein weiterhin stabiler Arbeitsmarkt entscheidend. Es komme darauf an, möglichst vielen Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben und sie durch Aus- und Weiterbildung auf den Wandel in der Arbeitswelt vorzubereiten.

Hubertus Heil präsentierte sich als ein Politiker, der seine Worte verständlich machen kann, er erklärt die Zusammenhänge klar, wirbt mit Herzblut für seine Überzeugungen und bemerkte angesichts seiner ausführlichen Antworten: „Mein Herz ist voll, da läuft der Mund über.“

In der Diskussion kam auch das allgegenwärtige Thema Corona auf den Tisch. In dieser Krise habe sich gezeigt, dass der Sozialstaat in manchen Bereichen gut funktioniert, sagte der Minister und nannte als Beispiel den Arbeitsmarkt, Stichwort Kurzarbeitergeld. Defizite seien etwa bei den Gesundheitsämtern oder den Krankenhäusern sichtbar geworden. Im Übrigen sprach er sich dafür aus, Geimpften ihre Grundrechte zurückzugeben und Ungeimpfte für die Testkosten zur Kasse zu bitten. „Wer die Wahl hat, muss auch die Konsequenzen tragen“, so seine Meinung.

Keine Lust auf eine erneute Koalition mit der CDU, mehr Nähe zu den Grünen

Auch die Bundestagswahl am 26. September warf ihre Schatten voraus. Ein Zuhörer sprach Heil auf mögliche Koalitionen an. Und im Gegensatz zu vielen seiner Politikerkollegen wurde der Minister hier recht konkret. Gar keine Lust hat er offenbar auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem jetzigen Koalitionspartner CDU. Ein Blick in deren Wahlprogramm zeige: „Die haben nichts vor. Mit denen wollen wir nicht mehr zusammen.“ Anders seine Sicht auf die Grünen: „Uns verbindet viel bei den Zielen, beim Weg dahin gibt es Unterschiede.“ Auf dem Weg zur Klimaneutralität müsse etwa beim Ausbau der erneuerbaren Energien mehr Tempo gemacht werden, auch gegen Widerstände: „Wenn Sie für die Energiewende sind, dürfen Sie nicht jeder Bürgerinitiative hinterherlaufen.“ Was seine eigene Partei betrifft, fand Heil durchaus selbstkritische Worte: „Wir müssen in der SPD nicht so viel über die SPD reden. Man muss überzeugt sein, wenn man andere überzeugen will.“ Er hält eine Dreiparteienkoalition für wahrscheinlich und hofft auf eine Regierungsbeteiligung der SPD, denn: „Opposition ist Mist, regieren finde ich besser“.

Am Ende dankte Bundestagsabgeordneter und Justizstaatssekretär Christian Lange seinem langjährigen Freund Hubertus Heil für sein Kommen. Lange wird im September nicht mehr für den Bundestag kandidieren, dem er seit 1998 angehört. Für ihn wurde der erst 21-jährige Tim-Luka Schwab als SPD-Kandidat für den Wahlkreis Schwäbisch Gmünd/Backnang nominiert. Heil erinnerte daran, dass auch er schon in jungen Jahren politisch aktiv war, und ermunterte die Zuhörer: „Traut ihm was zu!“

 

Zurück