Mehrheit wird für die GroKo stimmen

von Jürgen Hestler

Von Florian Muhl

WEISSACH IM TAL. Zunächst lädt Jürgen Hestler Mitglieder und Gäste zu Sekt und Selters ein. Der Anlass ist ein erfreulicher: der SPD-Kreis- und Ortsvereinsvorsitzende heißt zwei neue Mitglieder willkommen. Zwei Männer sind’s, der eine, aus beruflichen Gründen verhindert und 37 Jahre alt, der andere im Seniorenalter. Beide, so schmunzelt der Vorsitzende, hätten ihm versichert, auch nach der Abstimmung über den Koalitionsvertrag mit der Union Parteimitglied bleiben zu wollen.

Für den Abend hat Hestler, der selbst seit über 40 Jahren den Sozis angehört, einiges vorbereitet. So ist er, so kennt und schätzt man ihn. Zunächst bittet er die Versammelten zu einer Art Tendenz-O-Meter. Auf den Boden hat der 67-Jährige einen etwa vier Meter langen Klebestreifen geklebt, an einem Ende ein lachendes Smiley, am anderen Ende ein trauriges, in der Mitte ein „Ich-weiß-nicht-Smiley“. Wer will sich in der GroKo-Frage wo positionieren? Die erste Tendenz zeigt: Mehr als die Hälfte der Mitglieder, aber noch keine Zweidrittelmehrheit, stellen sich in der Nähe des freundlichen Smileys auf.

„Wenn ich mitgestalten will, muss ich auch mitregieren“, lautet die Erklärung eines jungen Mannes, der für die Große Koalition (GroKo) stimmen wird. Ein anderer wird dagegen stimmen, „weil die SPD nicht nur inhaltliche Probleme hat, sondern auch an Glaubwürdigkeit verlieren würde“. Einer, der sich etwa in der Mitte beim „Ich-weiß-nicht-Smiley“ hingestellt hat, sagt: „Ich war anfangs gegen die GroKo, aber meine Position hat sich geändert. Ich bin sozusagen von 49 auf 51 Prozent gerutscht. Auch deshalb, weil im GroKo-Vertrag so viel Sozialdemokratisches steckt, dass es sich lohnt.“

Alle setzen sich. Hestler packt einen überdimensionierten Würfel aus. Auf jeder Seite eine GroKo-Frage. Der Vorsitzende würfelt. Die Frage an die Runde lautet: „Gibt es eine echte Alternative zur GroKo?“ Hestler gibt zu bedenken: „Was ist, wenn wir die Große Koalition ablehnen? Man sollte auch weiterdenken.“ Der Erste, der sich gleich zu Wort meldet, macht keinen Hehl daraus: Für ihn ists wie eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera. „Mein Herz sagt klar Nein. Eine GroKo? Auf keinen Fall. Mein Verstand aber sagt Ja. Denn ein Nein ist noch viel schlimmer.“ Ein SPD-Mitglied aus Allmersbach im Tal blickt zurück: „Die Partei war sich noch nie so einig, wie nach der Wahl. Wir gehen in die Opposition und Jamaika macht’s. Aber der Zug ist abgefahren.“ Zunächst habe er mit einer Minderheitsregierung geliebäugelt. „Aber die ist auch keine Alternative.“

Mit eindringlichen Worten wendet sich ein ehemaliger Bize-Lehrer an seine Genossen: „Die Mehrheit im Bundestag ist eindeutig rechts. Wenn ihr glaubt, dass ihr so irgendwas durchbringt, was gut für die Menschen in Deutschland ist, habt ihr euch getäuscht. Die Minderheitsregierung ist Quatsch.“ Ein anderer sieht die GroKo als Chance. Denn bei Neuwahlen würde die SPD vielleicht auf zwölf Prozent absacken. Wenn die GroKo gut laufe, sei das für die SPD im Jahr 2021 eine gute Basis, um „durchzustarten“. Eine Frau pflichtet bei: „Wir haben doch einige Minister. Wenn die sich profilieren, punktet die SPD.“ Dann würde nicht nur die Union den Erfolg für sich verbuchen können. Einer entgegnet: „Die CDU hat bislang in der GroKo die Lorbeeren geerntet, das wird auch weiterhin so sein.“ Im Übrigen sei die Union nicht koalitionsfähig. Nach dem nächsten Würfelwurf stellt Hestler die Frage: „Leidet mit der GroKo unsere Glaubwürdigkeit?“, um dann selbst festzustellen, dass er das Postengeschacher als übel empfand. Aber sei das Grund genug, um gegen die GroKo zu sein?

Eine ehemalige Bize-Lehrerin, die als Gast da ist, sagt, dass sie die SPD wegen ihrer Wahlaussagen und -versprechen gewählt habe. Wenn sie jetzt die Regierungsverantwortung ablehnen werde, würde sie sich „als Wähler verarscht vorkommen“. Ein SPD-Mitglied versteht die Kritik an der Regierung in den letzten vier Jahren nicht: „Insgesamt geht’s unserem Land so gut, wie keinem anderen in vergleichbarer Größe.“ Schon folgte ein Veto: „Wenn ich mir die letzten vier Jahre GroKo anschaue, da ists der SPD nicht gelungen, sich zu profilieren. Wichtig wäre es mal, klar zu sagen, wo wir eigentlich hinwollen. Das ist uns bisher nicht gelungen.“ Einspruch: Die Erfolge der SPD seien da. Beispiel Mindestlohn. Nur habe die SPD es nicht verstanden, die Erfolge für sich zu verbuchen.

Viele Argumente werden an diesem Abend noch ausgetauscht, bevor es dann zu einer Probeabstimmung kommt. Diese endet mit 15:7. Die Weissacher-Tal-Sozialdemokraten sagen also Ja zur GroKo.

 

Zurück